Stadt und Adel

Organisatoren
Südwestdeutscher Arbeitskreis für Stadtgeschichtsforschung
Ort
Tübingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
02.07.2021 - 04.07.2021
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Von
Marcel Schön / Selina Mayer, Institut für Geschichtliche Landeskunde und Historische Hilfswissenschaften, Universität Tübingen

Die 59. Arbeitstagung des Südwestdeutschen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung stand unter dem Titel „Stadt und Adel“. Dabei rückten vor allem die engen Verflechtungen zwischen dem Begriffspaar in den Vordergrund, die vom Mittelalter bis in die Neuzeit aufgezeigt werden konnten. Die hier gehaltenen Vorträge spannten nicht nur auf zeitlicher Ebene einen weiten Bogen – vom Hochmittelalter bis ins 19. Jahrhundert – sondern taten dies ebenso geographisch, indem sie sich über den deutschen Südwesten hinaus auch etwa mit Italien und der britischen Insel auseinandersetzten. Das Spektrum der Vorträge reichte von der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte über die Kultur- und Politikgeschichte bis hin zu archäologisch-historischen Überlegungen.

Den gelungenen Auftakt der Tagung bildete der gut besuchte öffentliche Vortragsabend. Im Anschluss an die Begrüßung durch die Vorsitzende des Arbeitskreises Gabriele B. Clemens (Saarbrücken) und den Mitveranstalter Manfred Waßner (Esslingen) gab JOACHIM BRÜSER (Tübingen) einen Einblick in die Bedeutung der herzöglichen Witwen für die Stadt Kirchheim und offenbarte zahlreiche überlieferte Interaktionen zwischen Angehörigen des Hofstaats und der Stadtgemeinde.

Den Auftakt der Sektion „Adel unter Bürgern? Herrschaft, Geschlechts und Selbstverständnis des Stadtadels“ machten LUKAS WERTHER und MICHAEL KIENZLE (beide Tübingen), die in ihrem Vortrag einen Blick auf den materiellen Niederschlag von Konkurrenz und Koexistenz zwischen Adel und Stadt unter historisch-archäologischen Gesichtspunkten warfen. Als Beispiel dienten die Herren von Greifenstein und deren Beziehungen zu den nahegelegenen Städten Reutlingen und Pfullingen während des 13. und 14. Jahrhunderts. Die Referenten berichteten von einer Ausgrabungsstätte im Umfeld der Burg Stahleck mit umfassendem Fundmaterial und bislang unbekannten Resten verbrannter Fachwerkgebäude. Eventuell handle es sich hier um Zeugnisse eines Konflikts während des Reichskriegs 1311, denn auf der Burg könnten Lehensleute der Greifensteiner gesessen haben. Für Zeiten der Koexistenz sei es hingegen methodisch schwieriger, aussagekräftige materielle Belege zu finden, aufgrund von entsprechenden Berichten in erzählenden Quellen aber nicht ausgeschlossen.

MARCUS MEER (London) referierte über bürgerliche Wappen in der städtischen Selbstwahrnehmung des Mittelalters. Zunächst kam er auf allgemeine Funktionen und Wahrnehmungen der Heraldik in der mittelalterlichen Stadtgesellschaft zu sprechen. Das Wappentragen des Bürgertums war ab dem 13. Jahrhundert oftmals mit dem Phänomen des sozialen Aufstiegs verbunden und lehnte sich an die Gepflogenheiten des Adels an. Bürgerliche Schichten entwickelten im Laufe der Zeit jedoch ihren eigenen heraldischen Dialekt, der ihre Wappen gestalterisch von denen des Adels differenzierte. Ab dem 15. Jahrhundert trat der ursprüngliche Zweck der Nachahmung in den Hintergrund. Wappen waren nun innerhalb städtischer Bürgerschaften weit verbreitet und dienten vor allem als Nachweis der eigenen Herkunft.

Den Zeitsprung vom Spätmittelalter in die Neuzeit vollzog GABRIELE B. CLEMENS (Saarbrücken) mit ihrem Vortrag zum italienischen Stadtadel des 19. Jahrhunderts. Im Fokus standen dessen kulturelles Engagement und kulturelle Praktiken, beispielsweise die Einrichtung spezieller Cafés zur Distinktion und als Bühne, auf der nach außen hin das Bild einer vorherrschenden Schicht präsentiert werden konnte. In diesen Zusammenhang ist auch der Aufbau von Bibliotheken und Museen oder Theatern einzuordnen, die in dieser Zeit landesweit entstanden und das urbane Leben in den italienischen Städten prägten. Prachtvolle Bausubstanzen und besonders imposante Umgebungen demonstrierten, dass es dem italienischen Adel effektiv gelungen war, sich in der semiprivaten Sphäre seiner Häuser zu inszenieren.

Dem Thema der Repräsentation widmete sich gleichfalls der Vortrag von INES HEISIG (Saarbrücken), die sich auf die Wohngebäude des Adels konzentrierte. Als Beispiel wählte sie den Heylshof der Freiherren Heyl zu Herrnsheim in Worms, erbaut im 19. Jahrhundert. Der Aufstieg dieser Familie beruhte vordergründig auf ökonomischem Erfolg, sozialer Distinktion und nicht zuletzt der Integration in entsprechende soziale Netzwerke. Das repräsentative Wohnhaus im Zentrum der Stadt war von vornherein als privates Museum geplant, in welchem die Familie ihren Gästen eine reichhaltige Kunstsammlung präsentieren konnte, und diente als Bühne für das Sammlerehepaar. Auch hochrangige Gäste konnten hier angemessen untergebracht werden. Im Fall des Heylshofs schlägt sich die Aufstiegsgeschichte der Besitzer also deutlich sichtbar in der Wohnkultur nieder.

Die zweite Sektion widmete sich der Stadt als funktionalem Bezugspunkt für den Adel und seinen Interessen. LUDWIG OHNGEMACH (Ehingen) warf in diesem Zusammenhang einen Blick auf die Verbindungen zwischen dem Ritterkanton Donau und der vorderösterreichischen Landstadt Ehingen. Dorthin verlegte die Organisation ihren Sitz nach Spannungen mit dem Schwäbischen Kreis am Ende des 17. Jahrhunderts. Auf Seiten der Gemeinde bediente man sich in der Folgezeit des juristischen Sachverstands des ritterschaftlichen Personals, welches sich oft in der Stadt niederließ. Auch kam es zu einigen Hochzeiten mit Ehinger Bürgertöchtern. Jedoch seien Konflikte im gleichen Maß nachweisbar: Streitpunkte waren Kompetenzen und Zuständigkeiten, aber auch die Frage um Befreiung von landesherrlichen Steuern und die Gültigkeit der Sperrstunde in den Gasthäusern für ihr Personal. Im 18. Jahrhundert schwand die Bedeutung des Schutzes der Ritter durch den Kaiser, da sich ihr Verhältnis zu den großen Reichsständen verbessert hatte. Gleichzeitig fühlten sie sich zunehmend von der Territorialhoheit des Hauses Österreich bedrängt. Die Flucht des Direktoriums vor den Franzosen 1796 markierte schließlich das Ende des Verhältnisses zwischen Ritterkanton und der Stadt, welches über das 18. Jahrhundert mehrfach von reichspolitischen Faktoren beeinflusst wurde.

Dass das Verhältnis zwischen Stadt und Adel maßgeblich auch von wirtschaftlichen Faktoren abhing, war Gegenstand des Vortrags von DANIEL MENNING (Tübingen). Zentrales Beziehungsfeld war die Versorgung mit Nahrungsmitteln wie Getreide, da die adligen Gutsbesitzer auf regionale Absatzmärkte angewiesen waren. Diese Verbindung demonstrierte Menning anhand des Getreidehandels des Ritterguts Jebenhausen. Als Käufer konnten für diesen Fall in erster Linie Bäcker, beispielsweise aus Göppingen, ausgemacht werden. Zwischenhändler waren in aller Regel nicht involviert, um Verteuerungen zu vermieden. Da viele Käufer nur wenige Male in den Quellen auftauchten, sei davon auszugehen, dass Preise und Konkurrenz bereits eine wichtige Rolle spielten. Handelsbeziehungen wie diese stellten einen zentralen Bestandteil eines kontinuierlichen Austauschs zwischen Adel und Stadt dar.

Mit ihren widerstandsfähigen Befestigungen stellten Städte seit dem Spätmittelalter vergleichsweise sichere Orte dar. Diesen Umstand machte sich auch der landsässige Adel zu Nutze, wie ROLAND DEIGENDESCH (Reutlingen) aufzeigte. So war es vor allem im Südwesten gängige Praxis, Wertgegenstände wie Bargeld und Schmuck, aber auch bedeutende Urkunden im Archiv einer Stadt aufzubewahren – meist handelte es sich dabei um Reichsstädte. Dort waren sie vor fremden Zugriffen wesentlich besser geschützt als etwa auf der eigenen Burg. Neben Klöstern und Stiften nutzte selbst die Landschaft des Herzogtums Württemberg die städtischen Archive auf diese Weise. Die Bedeutung einer Stadt als zentraler Ort kann daher auch am Umfang des umliegenden Bereichs, aus dem Deposita eingelagert wurden, bemessen werden. Diesem Aspekt der Beziehung zwischen Stadt und Adel komme in der Literatur bislang wenig Aufmerksamkeit zu.

Im ersten Vortrag der Sektion „Stadt und Adel zwischen Konflikt und Kooperation“ widmete sich NIKLAS KONZEN (Schwäbisch Gmünd) der Person des Hans von Rechberg. Dabei stand die Frage im Zentrum, inwiefern Rechbergs feindselige Haltung gegenüber den Städten – welche sich bereits in seinem Beinamen „Städtefeind“ widerspiegelt – als Auslöser für eine Vielzahl ausgefochtener Fehden betrachtet werden kann. Die Fehdeführung von Seiten des Adels könne für das 15. Jahrhundert beinahe schon als gängige Praxis bezeichnet werden. Hans von Rechberg lasse sich als klassisches Beispiel eines „Fehdehelfers“ anführen, welcher beinahe ausschließlich von anderen Adligen mit der Ausführung von militärischen Aktionen beauftragt wurde und dabei gegen eine Vielzahl von Konventionen verstieß. Sein handlungsleitendes Motiv, so das Resümee des Vortrags, liege allerdings eher in einer Bedrohung seiner regionalen Stellung durch die mächtigeren Grafen von Württemberg als in einer städtefeindlichen Haltung allein. Sein Bruder Ulrich von Rechberg beschritt einen anderen Weg, indem er über Jahrzehnte als Rat am württembergischen Hof tätig war und sich auf diese Weise vor einer Verdrängung schützen konnte.

Dass Adlige sich somit oft auch in den Dienst von Städten stellten, war Gegenstand des Vortrags von BENJAMIN POPE (Manchester), der dies am Beispiel der Stadt Nürnberg verdeutlichte. Dieser Umstand offenbare ein komplexes Beziehungsgeflecht und zeige Möglichkeiten und Grenzen der Annäherung zwischen städtischen und ländlichen Eliten auf. Besonders während der 1440er-Jahre seien ausgeprägte Beziehungen zwischen Nürnberg und dem regionalen Adel nachweisbar, so wurden diese als Reichsschultheißen, Gesandte oder berittene Streifen im Umland eingesetzt. Damit sollte im Sinne einer Aufgabenteilung entlang der Linie Adel und Bürgertum etwa eine Oligarchisierung innerhalb der Stadt verhindert werden. Auch die Inszenierung spielte gerade auf Reichstagen oder in diplomatischen Angelegenheiten eine Rolle. Für den Adel waren hingegen die finanzielle Stärke der Stadt und die Unabhängigkeit von Fürsten wichtige Motivationsgründe. Deutlich wurden bei diesem Vortrag die starke Wechselwirkung zwischen Stadt und Adel sowie die Tatsache, dass eine Kooperation durchaus für beide Parteien Vorteile mit sich brachte.

TJARK WEGNER (Tübingen) hielt den letzten Vortrag der Tagung. Im Zentrum stand die Frage, wie Reichsstädte jenseits von Lehnsverhältnissen, die vor allem vom Adel genutzt wurden, ihre Territorien mittels dem Burgenöffnungsrecht strategisch absichern konnten. Eine Möglichkeit bestand darin, Adligen im Gegenzug unter anderem für das Recht, deren Burgen militärisch nutzen zu können, das Bürgerrecht der Stadt zu verleihen. Eine weitere bestand im käuflichen Erwerb der Burgen durch Bürger, die nicht nur zur strategischen Verteidigung, sondern auch als feste Ausgangspunkte für städtische Expeditionen genutzt wurden. Bislang bestünde hinsichtlich des gesamten Themas der Burgenöffnungen für Städte ein Forschungsdefizit. So seien beispielweise Fragen nach der Motivation auf beiden Seiten noch nicht ausreichend geklärt, etwa ob es sich um Maßnahmen zur Sicherung des Landfriedens, defensive Bestrebungen oder ein Instrument zur herrschaftlichen Durchdringung des Umlands handelte.

Für die Abschlussdiskussion bereitete ELLEN WIDDER (Tübingen) eine umfassende Zusammenfassung aller Vorträge vor und erinnerte an die Notwendigkeit, den Blick bei der Erforschung des Komplexes „Stadt und Adel“ auch über die Historiographie hinaus zu werfen – was auch das breitgefächerte Spektrum der Vorträge eindrücklich gemacht hatte.

Doch sind „Stadt“ und „Adel“ nun als Gegensätze oder sich ergänzende Partner zu verstehen? Auch wenn sich die Konflikte zwischen Stadt und Adel, die vor allem aus historisch-archäologischer Perspektive greifbar wurden, im historischen Rückblick nicht bestreiten lassen, so zeigten die Vortragenden insbesondere die Formen der Koexistenz und der gegenseitigen Annäherung auf. Ebenso deutlich wurde dabei, dass von der Wechselwirkung zwischen Stadt und Adel beide Parteien profitieren konnten.

Konferenzübersicht:

Joachim Brüser (Tübingen): Witwen im Kirchheimer Schloss – Fürstinnen und die württembergische Amtsstadt in der Frühen Neuzeit

Sektion 1: Adel unter Bürgern? Herrschaft, Geschlechts- und Selbstverständnis des Stadtadels
Sektionsleitung: Thomas Wozniak (Tübingen)

Michael Kienzle/Lukas Werther (Tübingen): Pfullingen, Reutlingen und die Herren von Greifenstein – archäologisch-historische Überlegungen zum materiellen Niederschlag von Konkurrenz und Koexistenz im 13. und 14. Jahrhundert

Marcus Meer (London): Zwischen Nachahmung und Aneignung: Bürgerliche Wappen in der städtischen Selbstwahrnehmung des Spätmittelalters

Gabriele B. Clemens (Saarbrücken): Italienischer Stadtadel im 19. Jahrhundert

Ines Heisig (Saarbrücken): Die Freiherren Heyl zu Herrnsheim in Worms zur Zeit des Kaiserreichs. Repräsentatives Wohnen als Elitenpraxis am Beispiel des Heylshofs

Sektion 2: Stadt und Adel, Ritter und Bürger: Die Stadt als Bezugspunkt des Adels
Sektionsleitung: Manfred Waßner (Esslingen)

Ludwig Ohngemach (Ehingen): Der Ritterkanton Donau und die vorderösterreichische Landstadt Ehingen

Daniel Menning (Tübingen): Ländliche Produzenten, städtische Konsumenten und der Adel als Getreidehändler. Jebenhausen 1760–1810

Roland Deigendesch (Reutlingen): Die Stadt als Archiv. Hinterlegungen von Adelsarchiven als Quelle für Stadt-Umlandbeziehungen am Beispiel der Reichsstadt Reutlingen

Sektion 3: Stadt und Adel zwischen Konflikt und Kooperation
Sektionsleitung: Joachim Halbekann (Esslingen)

Niklas Konzen (Schwäbisch Gmünd): Der „Städtefeind“: Hans von Rechbergs Städtefeindschaft als Movens seiner Fehden?

Benjamin Pope (Manchester): Adelige Diener der Reichsstadt Nürnberg – eine Stadt und ihre Beziehungen zum Umland

Tjark Wegner (Tübingen): Die schwäbischen Reichsstädte und Burgenöffnungen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit

Abschlussdiskussion
Leitung: Ellen Widder (Tübingen)


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